Kirche Fundgrube der Kirchengeschichte

Protestantisches Leben im Saarland: Nach der pfälzischen Landeskirche nimmt sich nun auch die Evangelische Kirche im Rheinland der Zeit des Nationalsozialismus’ mit einem besonderen historischen Werk an.

 Das Gebäude des heutigen Saarländischen Staatstheaters in Saarbrücken wurde als Gautheater Saarpfalz 1937 und 1938 im Auftrag von Joseph Goebbels erbaut. Am 9. Oktober 1938 wurde der Theaterneubau in Anwesenheit Adolf Hitlers, Joseph Goebbels´ und Heinrich Himmlers mit einer Aufführung der Oper „Der fliegende Holländer“ von Richard Wagner in großem Rahmen, auch im Beisein vieler kirchlicher Würdenträger, eingeweiht.

Das Gebäude des heutigen Saarländischen Staatstheaters in Saarbrücken wurde als Gautheater Saarpfalz 1937 und 1938 im Auftrag von Joseph Goebbels erbaut. Am 9. Oktober 1938 wurde der Theaterneubau in Anwesenheit Adolf Hitlers, Joseph Goebbels´ und Heinrich Himmlers mit einer Aufführung der Oper „Der fliegende Holländer“ von Richard Wagner in großem Rahmen, auch im Beisein vieler kirchlicher Würdenträger, eingeweiht.

Foto: BUCH/saarbrücken wie es war

Einen bemerkenswerten Schritt bei der Aufarbeitung ihrer jüngeren Geschichte, insbesondere der NS-Zeit, ist derzeit bei den saarländischen Protestanten zu beobachten. Die Protestantische Landeskirche der Pfalz in Speyer, zu der auch der Saarpfalz-Kreis gehört, hat vor zwei Jahren mit dem zweibändigen Werk „Protestanten ohne Protest“ große Beachtung gefunden. Jetzt hat die Rheinische Kirche in Düsseldorf, zu der das übrige Saarland gehört, ebenfalls ein beachtliches Werk vorgelegt. Es trägt den Titel „Zwischen Bekenntnis und Ideologie – 100 Lebensbilder des rheinischen Protestantismus im 20. Jahrhundert“. Die Lebensgeschichten von evangelischen Christen aus dem Gebiet der evangelischen Kirche im Rheinland, die die Zeit des Nationalsozialismus (1933 bis 1945) erlebt haben, werden darin beschrieben. Unter den porträtierten Persönlichkeiten sind auch viele Evangelische aus dem Saarland. Ihre Biografien werfen einen spannenden Blick auf die bewegte Geschichte dieser Jahre. Auch dunkle Seiten der Kirchengeschichte werden in den Lebensbildern deutlich. Dargestellt werden etwa Ida Obenauer (1875 bis 1957). Sie legte Wert auf die Anrede „Fräulein“: Die Alt-Saarbrücker Kaufmannstochter fand im kirchlichen Ehrenamt ihre Erfüllung. 1921 war sie die erste Frau im Presbyterium der Kirchengemeinde Alt-Saarbrücken – Frauen waren erst seit 1920 wählbar – und 1922 gehörte sie zu den Gründerinnen des Saarverbands der Evangelischen Frauenhilfe, den sie über 30 Jahre leitete. In der NS-Zeit wurde sie Mitglied der Bekennenden Kirche und machte die Frauenhilfe zu einem Bollwerk gegen die regimetreuen Deutschen Christen.

Ida Obenauer gehört ebenso wie der bekannte Kirchenmusiker Karl Rahner, der im Saarland aufgewachsene Friedrich Langensiepen (Pfarrer der Bekennenden Kirche in Gödenroth im Hunsrück), der deutsch-nationale Pfarrer Wilhelm Reichard (wurde 1941 zum Superintendenten in Saarbrücken ernannt) und der stramm hitlertreue Gauleiter der Deutschen Christen im Saarland, Gustav Adolf Müller, zu den Personen, die in dem Werk vorgestellt werden. So berühmte Persönlichkeiten wie Karl Barth, Gustav Heinemann, Berthold Beitz, Johannes Rau, Dorothee Sölle und Peter Beier bieten in ihren Lebensläufen einen spannenden Zugang zur Geschichte. Der Band ist eine Fundgrube der jüngeren Kirchengeschichte.

Geschrieben haben die Porträts mehr als drei Dutzend Autorinnen und Autoren. Die Auswahl der Personen wurde von dem Bemühen geleitet „den rheinischen Protestantismus im 20. Jahrhundert zumindest exemplarisch in seiner ganzen Breite abzubilden“, heißt es in der Einleitung. So finden sich in dem Band sowohl die Väter der Bekennenden Kirche (BK) wieder, die gegen die NS-Kirchenpolitik und die Gräueltaten der Nazis aufstanden, wie auch glühende Anhänger der sogenannten Deutschen Christen, die die Gleichschaltung der Kirche im NS-Staat befürworteten. „Die Stärke der Lebensbilder liegt in der ehrlichen Auseinandersetzung mit dem historischen evangelischen Milieu, das leider lange Zeit allzu konservativ und deutschnational orientiert war“, resümiert Simone Rauthe in ihrer Bilanz am Ende des über 350 Seiten starken Buches. „Das Buch soll historisch interessierte Leserinnen und Leser durch seinen unmittelbaren Zugang ansprechen. Abseits abstrakter politischer oder theologischer Denkgebäude kann es so zum Verständnis des Hier und Jetzt unserer Kirche beitragen“, sagt Stefan Flesch, Direktor des Landeskirchlichen Archivs der rheinischen Kirche, der zu den Herausgebern gehört. Ein weiterer Herausgeber ist der Theologe Joachim Conrad von der Saar-Uni, der sich insbesondere für seine Arbeiten zur Reformationszeit auch in Homburg einen Namen machte – er spricht von „einer ehrlichen Aufarbeitung“.

Das Buch spiegelt auch den „Kirchenkampf“ wider. Der Ausdruck kam 1933, dem Jahr der NS-Machtübernahme, für die Auseinandersetzung zwischen den Deutschen Christen (DC) und jenen Kreisen auf, die sich 1934 in der Bekennenden Kirche (BK) zusammenschlossen. In der Forschung nach 1945 wurde damit die gesamte protestantische Epoche in Deutschland von 1933 bis 1945 bezeichnet. Heute ist dieser Epochenbegriff umstritten, da er den falschen Eindruck erweckt, die evangelischen Kirchen hätten das NS-Regime insgesamt „bekämpft“. Zwar gab es auf evangelischer wie katholischer Seite einzelne Kirchenvertreter und Gruppen, die die Hitlerregierung öffentlich kritisierten und/oder sogar konspirativen Widerstand leisteten. Doch eine geschlossene kirchliche Opposition gegen den Nationalsozialismus und seine Politik gab es nicht.

Spannend wird sicherlich auch die Diskussion um die „Personenzentrierte Geschichtschreibung“ werden, wie Mitherausgeber Thomas Martin Schneider, Akademischer Direktor und Professor für Kirchengeschichte am Institut für Evangelische Theologie der Universität Koblenz-Landau, schreibt. Die Biografie sei generell eine populäre Form der Geschichtsdarstellung – so die Meinung von einigen Historikern. Besonders seit den 1970er Jahren wurde sie aber von Kritikern ihrer „beschränkten Sichtweise“ wegen als unvereinbar mit der Strukturgeschichte gesehen, in Deutschland vor allem von den Vertretern der Historischen Sozialwissenschaft, wie etwa Hans-Ulrich Wehler, vertreten. Die personalisierende Geschichtsdarstellung habe Persönlichkeiten derart betont, dass bedeutende historische Personen idealisiert oder gar heroisiert würden, kritisierte auch der Historiker Imanuel Geiss. Die Herausgeber halten dem entgegen: „Das Motto lautet nicht Strukturen oder Persönlichkeiten, sondern Strukturen und Persönlichkeiten.“

Das Buch „Zwischen Bekenntnis und Ideologie. 100 Lebensbilder des rheinischen Protestantismus“, hrsg. von Thomas Martin Schneider, Joachim Conrad und Stefan Flesch; Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2018. ISBN 978-3-374-05617-0; Preis: 30 Euro. Das Buch ist in jeder Buchhandlung erhältlich.

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