Antisemitismus Ein Antisemit beim Internationalen Jazzfestival?

St. Wendel · Leugnet der Jazzer Gilad Atzmon den Holocaust? Das behauptet ein Wiener Publizist und fordert die Macher von WND-Jazz auf, ihn wieder auszuladen.

 Gilad Atzmon (links stehend) bei einem gemeinsamen Auftritt mit der Big Band Urknall. Das Foto entstand im Sommer in der Saarwellinger Jazzwerkstatt: Bei WND-Jazz wollen Urknall und Atzmon erneut gemeinsam musizieren

Gilad Atzmon (links stehend) bei einem gemeinsamen Auftritt mit der Big Band Urknall. Das Foto entstand im Sommer in der Saarwellinger Jazzwerkstatt: Bei WND-Jazz wollen Urknall und Atzmon erneut gemeinsam musizieren

Foto: Gerhard Alt

Die Vorwürfe sind harsch: Ein namhafter Künstler des 27. Internationalen St. Wendeler Jazz-Festivals, das am heutigen Freitagabend im Kurhaus Harschberg mit einem Prolog eröffnet wird, sei nicht nur ein Antizionist, sondern sogar Antisemit und Holocaustleugner. Die Rede ist von Gilad Atzmon, britischer Jazzmusiker, politischer Aktivist und Autor israelischer Herkunft. Der Vorwurf kommt von einem Mann, der sich David Hellbrück nennt. Nach eigenen Angaben ist er Verleger und Publizist, er lebt in Wien, pendelt zwischen der österreichischen Hauptstadt und Freiburg und gibt eine Zeitschrift heraus, die sich der Ideologiekritik verschrieben habe. Für einen Artikel, der allerdings noch nicht erschienen ist, habe er sich mit Atzmon, dessen Ansichten und Aussagen beschäftigt.

In einem Telefonat erklärt Hellbrück, dass das Thema philosophisch aufgeladen und kompliziert sei. Daher fokussiere er sich darauf, „dass Atzmon, man kann schlecht sagen, dass er ein Neonazi ist, aber man kann schon festhalten, dass er mit bekennende Rechten in den USA spricht“. So habe er Aedon Cassiel, ein Vertreter der US-amerikanischen New-Right-Bewegung, ein Interview gegeben. Das sei aber nicht so sehr das Problem. Problematisch sei, dass er den Fragesteller „mit Wohlwollen“ antworte. Er übertrumpfe den Interviewer gar in seinen antijüdischen Formulierungen.

Zudem sei Atzmon ein Holocaustleugner, „auch wenn er das nicht offen ausspricht, weil er weiß, dass ihm das Probleme bereiten könnte“. Hellbrück verweist auf einen Journalisten namens Karl Pfeifer, der folgende Aussage Atzmons festgehalten habe: Auf die Frage, ob der Holocaust stattgefunden hätte, antwortete Atzmon einmal, dass er dies nicht beantworten könne, weil er kein Historiker sei. Hellbrück findet: „Dass sich Atzmon hier elegant versucht, um den strafrechtlich relevanten Vorwurf des Holocaustleugnens zu drücken, ist offenkundig.“ Denn es könne doch jeder sagen, ob es wahr ist oder nicht. Auf den Einwurf, dass es Informationen gibt, wonach Atzmons Großmutter selbst dem Holocaust zum Opfer gefallen sei, sagt Hellbrück, dass das hierbei keine Rolle spiele. Hellbrück vermutet gar jüdischen Selbsthass bei Atzmon, der sich in seinen Ausführungen auf den Wiener Philosophen und jüdischen Antisemiten Otto Weininger beziehe.

Weiter berichtet Hellbrück, dass der Saxophonist im Juli von den Organisatoren eines Jazzkonzerts in Wien wieder ausgeladen wurde, woraufhin dieser sich auf seiner Website echauffiert habe, dass die zionistische und jüdische Lobby dahinter stecke. „Ich nehme an, dass Sie von diesen ganzen Vorfällen sicher nichts zum Zeitpunkt der Einladung wussten, denn niemand würde einen solch bösen Menschen zu einem Konzert einladen und ich gehe auch inständig davon aus, dass sie aus den nachvollziehbaren Gründen die Auffassung teilen, dass man solchen Menschenfeinden kein Podium schenken darf. Deswegen freue ich mich umso mehr, auch weil Ihnen an der Reputation der St. Wendeler Jazztage etwas liegt, dass Sie Gilad Atzmon wieder ausladen“, schreibt Hellbrück in einer E-Mail an Ernst Urmetzer, den Leiter des St. Wendeler Jazz-Festivals. Diese Mail liegt der SZ-Redaktion vor.

Anruf in Wien, beim Jazz-Club Porgy & Bess. In dem hätte der Musiker im Sommer mit einer Band beim Wiener Jazzfest auftreten sollen – und wurde vom Veranstalter kurzfristig wieder ausgeladen. „Offiziell hieß es, weil im Vorverkauf nicht lief“, berichtet Christoph Huber, künstlerischer Direktor des Jazz-Clubs. Porgy & Bess sei nicht selbst Veranstalter des Festivals gewesen, sondern habe mit seinem Club bloß den Veranstaltungsort gestellt. „Ich kenne Gilad Atzmann seit mehr als zehn Jahren und hätte das Konzert niemals abgesagt.“ Nachdem das aber geschehen war, habe er mit Atzmon telefoniert. Der berichtete ihm, dass es mitnichten an dem Kartenverkauf gelegen habe, sondern daran, wie sich Atzmon vor dem Hintergrund des verheerenden Hochhausbrandes in London öffentlich geäußert habe. „Das war schon grenzwertig und könnte in Richtung Antisemitismus interpretiert werden“, räumt Huber ein. „Dennoch hätte ich selbst das Konzert niemals abgesagt. Ich hatte Atzmon sogar angeboten, in einem anderen Saal und unabhängig vom Jazz-Festival das Konzert zu spielen, aber das wollte die Band nicht.“ Daraufhin habe er alternativ eine Podiumsdiskussion mit dem Künstler organisieren wollen, aber damit sei plötzlich nicht mehr Atzmon in der Schusslinie gewesen, sondern Porgy & Bess. Was dazu führte, dass der Gedanke einer politischen Auseinandersetzung wieder verworfen wurde. „Das ist einfach ein sehr heikles Thema – in Österreich genauso wie in Deutschland“, sagt Huber. Und er fügt hinzu: „Atzmons Ansichten und Äußerungen verstoßen nicht gegen das Gesetz. Wer das dennoch meint, sollte die Staatsanwaltschaft einschalten.“ Einen Musiker jedoch wegen seiner zwar durchaus kritischen, aber dennoch legitimen politischen Ansichten in seinem Wirken als Künstler zu behindern, geht nach Ansicht Hubers gar nicht. Abschließend ist ihm noch wichtig: „In einem persönlichen Gespräch hat mir Atzmon sehr glaubhaft versichert, kein Holocaustleugner zu sein. Und das glaube ich ihm.“ Aber er hinterfragt halt – als Autor –, wofür die Begriffe Zionismus, Judentum, Jüdischsein und jüdische Kultur eigentlich stünden. Seine Antworten können missfallen.

Dem Ansinnen Hellbrücks, dass der Saxophon-Virtuose ob seiner politischen Ansichten wieder ausgeladen wird, erteilt Ernst Urmetzer, Festival-Leiter von WND-Jazz, eine Absage: „Wir werden diesem Ansinnen natürlich auf keinen Fall nachkommen“, erklärt der frühere Pädagoge. „Ich kenne Gilad Atzmon seit nunmehr 14 Jahren und habe ihn als überzeugten und integren Humanisten, großartigen Musiker und Kosmopoliten schätzen gelernt. Als solchen haben wir ihn zum Festival eingeladen.“ Die Antisemitismus-Vorwürfe hält er für haltlos. „Die Zitate und Links zu den Aussagen Atzmons in der E-Mail sind aus dem Zusammenhang gerissen und sehr tendenziös.“ Urmetzer bezeichnet Atzmon als „sehr engagierten Menschen, der in der Tat die Politik Israels kritisiert. Aber in St. Wendel tritt er als Musiker auf und nicht, um politische Botschaften zu verbreiten“. Hellbrück sagt dazu: „Es ist die Frage, ob man das trennen kann, die Musik und sein ganzes politisches Handeln. Ich weiß nicht, ob es richtig ist, wenn man einen Antizionisten einlädt, nur weil man seine Musik gut findet.“

Festivalleiter Ernst Urmetzer steht zu Gilad Atzmon.

Festivalleiter Ernst Urmetzer steht zu Gilad Atzmon.

Foto: Jupp Bonenberger

Und der Beschuldigte selbst? Gilad Atzmon spricht von einer „Schmieren-Kampagne“, die gegen ihn laufe und zitiert den Journalisten Glenn Greenwald: „Die Kriminalisierung der politischen Rede und des Aktivismus gegen Israel ist eine der ernstesten Bedrohungen gegen die Redefreiheit im Westen geworden.” Wie Pink-Floyd-Veteran Roger Waters und viele andere Künstler und Denker weltweit „werde ich einer internationalen Verleumdungskampagne unterworfen, orchestriert und gefördert durch verschiedene zionistische Institutionen, die versuchen, jede Form des legitimen Dissenzes bezüglich des Zionismus und der israelischen Politik zum Schweigen zu bringen“.
Als Schriftsteller habe er tatsächlich Israel und andere Formen einer jüdisch-politischem Sonderstellung kritisiert. „Ich habe kritisch Zionismus, jüdische Politik, Ideologie und Identitätspolitik im Allgemeinen analysiert. Ich glaube wirklich, dass alle Staaten, Ideologien und die Politik der Kritik unterworfen sein müssen, aber ich habe Juden als Leute, als Rasse oder als biologische Ethnie nie kritisiert. Tatsächlich ist meine Arbeit tief antirassistisch und konzentriert sich nur auf das Politische und das Kulturelle.“

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