Medizin Die Grenzen der Künstlichen Intelligenz

Marburg · Die Hoffnungen, die in intelligente Computerprogramme gesetzt werden, sind groß – doch sie erfüllen sich nicht immer.

 Digitale Assistenzsysteme sollen Ärzten künftig die Arbeit erleichtern. Dabei werden auch Verfahren der Künstlichen Intelligenz zum Zug kommen. Doch diese Technik steckt noch in den Kinderschuhen und ist bei Tests nicht immer erfolgreich.

Digitale Assistenzsysteme sollen Ärzten künftig die Arbeit erleichtern. Dabei werden auch Verfahren der Künstlichen Intelligenz zum Zug kommen. Doch diese Technik steckt noch in den Kinderschuhen und ist bei Tests nicht immer erfolgreich.

Foto: dpa-tmn/Andrea Warnecke

In der IT-Branche ist die Diskussion um die Künstliche Intelligenz (KI) das Megathema dieser Tage. Vier von zehn Arbeitnehmern, so meldet der Branchenverband Bitkom gerade, könnten sich vorstellen, dass KI-Systeme ihre Vorgesetzten unterstützen – oder sogar ersetzten. Die Erwartungen sind groß, zum Beispiel auch an der Uniklink Marburg. Die wollte ein KI-System unter anderem einsetzen, um die Diagnose komplizierter Krankheiten zu verbessern. Doch dann kam das Aus für die KI. Zunächst hochgelobt, stoppte die Klinikleitung das Projekt und ließ eine hoffnungsvoll gestartete Zusammenarbeit mit dem Computerkonzern IBM auslaufen.

Wie weit intelligente Maschinen in den kommenden zwei Jahrzehnten unseren Alltag verändern werden, zählt zu den spannendsten Fragen der technischen Entwicklung. Systeme der Künstlichen Intelligenz sollen im Alltag und Beruf unsere dienstbaren Geister sein. Wieviel KI kann, zeigt unter anderem das IBM-System Watson. Der Computer setzte schon Schachgroßmeister matt und schlug später auch in einer Quiz-Show seine menschlichen Kontrahenten. Watson steht übrigens nicht für den Sherlock Holms-Assistenten Dr. Watson als vielmehr für Thomas John Watson, ehemals IBM-Chef und genialer Verkaufsstratege. Nach den Anfangserfolgen hat IBM das KI-System Watson weiterentwickelt. Eine eigene Abteilung kümmert sich um das Geschäft in milliardenschweren Branchen, zuvorderst Gesundheit und die Finanzen.

Die Euphorie war groß: „Prinzipiell sind die Möglichkeiten unbegrenzt“, sagt Michael Kiess, Pressesprecher von IBM in Stuttgart. Doch mit zunehmender Erprobung werden auch Grenzen der KI sichtbar. So hatte die Uniklinik Marburg große Hoffnung auf die Digitalisierung gesetzt. Am Zentrum für unerkannte und seltene Krankheiten, kurz Zuse genannt, sollte der Digitalassistent getestet werden. Am Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York, einem der weltweit führenden Zentren der Krebsbehandlung, wird Watson erfolgreich eingesetzt. Gefüttert mit Patientenakten, medizinischen Studien, aktuellen Leitlinien und jeder Menge unstrukturierter Daten, sucht das Computersystem nach Mustern, um Ärzten Hinweise zur Diagnose und Therapie zu geben. Es soll Mediziner nicht ersetzen, sondern ihnen assistieren.

Das sollte so auch bei Zuse funktionieren, erhoffte sich die Leitung der Uniklinik Marburg sowie der leitende Arzt Professor Jürgen Schäfer. In seinem Arbeitsalltag kommt es häufig auf kleinste Details an, um eine Krankengeschichte aufzuklären. Patienten, die zu Jürgen Schäfer kommen, haben meist Dutzende medizinische Stationen abgeklappert, aber nirgends Hilfe gefunden. „Sie bringen bis zu fünf Kilogramm Patientenakten mit“, sagt Schäfer. Ein interdisziplinäres Team beugt sich über den Fall und seine Akten. Manchmal sind es winzige Details, die auf eine Lösung hinweisen. Und genau dabei sollte das IBM-System Watson helfen. „Mit Watson wird die Auswertung nicht nur systematisiert, sondern auch beschleunigt. Was sonst Tage braucht, geht jetzt in Sekunden. Das sagten uns zumindest die Ärzte nach der Testphase der vergangenen Monate“, beschrieb Gunther Weiss, Geschäftsführer der Universitätsklinikums Gießen-Marburg, anfangs die Hoffnungen. Die Testphase sei positiv verlaufen. „Watson analysiert weltweit ähnliche Datenkonstellationen und gibt Empfehlungen, mit welcher Therapie der Patient am erfolgreichsten behandelt werden kann“, sagte Anfang 2017 der Medizinvorstand des Rhön-Konzerns, Bernd Griewing, zu dem die privatisierte Uni-Klinik Marburg gehört.

Doch später dann kam die Kehrtwende. Das Pilotprojekt wurde an der Uniklinik nicht weitergeführt. Zum Projektende äußern sich die Verantwortlichen sehr viel zugeknöpfter. Jürgen Schäfer erklärt: „Wir haben aus dieser Kooperation zwar sehr viel gelernt“ – allerdings habe sein Team sehr viel Zeit und Arbeit investieren müssen, Arbeitszeit, die an anderer Stelle wieder gefehlt habe. Ein klinischer Einsatz sei weit entfernt, meint der Mediziner.

IBM ficht der Fehlschlag nicht an. Künstliche Intelligenz könne sehr viel, meint IBM-Sprecher Kiess. Man müsse immer den Einzelfall sehen. Und das Projekt mit Zuse sei eben eines von vielen. Manche gelängen, andere nicht. Watson werde derzeit in weltweit über 150 Krankenhäusern eingesetzt.

Am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg ist ein ähnliches Projekt 2011 übers Versuchsstadium nicht hinausgekommen. Die Watson-Technologie sollte dafür sorgen, dass Krebsmediziner unstrukturierte Forschungsdaten für Therapie-Entscheidungen verwenden können. Nach ersten Tests sei das Projekt gestoppt worden, hieß es in Heidelberg. Die Uni Klinik Marburg probiert nun ein anderes Softwaresystem des österreichischen Unternehmens Mindbreeze aus. Die Software soll „die Informationsfindung in heterogenen und überwiegend freitextbasierten Patientendokumenten“ erleichtern. Von Diagnose-Assistenz ist da nicht die Rede, auch nicht von „Künstlicher Intelligenz“, wenngleich Formen der KI in den Algorithmen stecken sollen. Grundsätzlich bleibt Mediziner Schäfer allerdings bei seiner Einschätzung, „dass moderne Computersysteme bis hin zur KI essentiell für die moderne Medizin sind.“

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