Soziale Medien Sind Handys schuld am Rechtschreibnotstand?

Düsseldorf/Saarbrücken/Mainz · Mehr als jeder fünfte Viertklässler in Deutschland kann nicht richtig schreiben. Ein Bildungsexperte sieht einen Zusammenhang mit den sozialen Medien.

 Schon Grundschüler bekommen täglich Hunderte Kurznachrichten auf ihr Handy. Korrekte Rechtschreibung spielt dabei keine Rolle, sondern wird sogar als störend angesehen. Das hat Folgen, sagt ein Bildungsexperte.

Schon Grundschüler bekommen täglich Hunderte Kurznachrichten auf ihr Handy. Korrekte Rechtschreibung spielt dabei keine Rolle, sondern wird sogar als störend angesehen. Das hat Folgen, sagt ein Bildungsexperte.

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„Fata“, „Hunt“ und „Mama, ich hap dich lip“ – wenn Grundschüler so drauflos schreiben, dann kocht bei vielen Eltern die Wut hoch. Doch was ist die Ursache für das insgesamt sinkende Rechtschreibniveau? Nach Ansicht eines Bildungsexperten spielen unter anderem die veränderten Lesegewohnheiten von Schülern eine Rolle: keine Bücher, dafür täglich Hunderte von Kurznachrichten auf dem Handy. So spiele das zusammenhängende Lesen nur noch eine geringere Rolle bei Kindern, sagt der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger. „In sozialen Netzwerken spielt die Rechtschreibung keine Rolle“, meint der Pädagoge. „Da wird eher der schief angesehen, der eine korrekte Rechtschreibung hat und sich die Mühe macht, Großbuchstaben zu schreiben.“

Normalerweise muss allerdings eher die Lernmethode „Lesen durch Schreiben“ als Sündenbock für schwache Orthografie-Leistungen herhalten. Das umstrittene Konzept des Schweizer Reformpädagogen Jürgen Reichen (1939-2009) aus den 1980er Jahren steht inzwischen in vielen Bundesländern auf dem Index. Jahrelang sollten Abc-Schützen nach dieser Methode anfangs nach Gehör schreiben, ohne von Lehrern oder Eltern korrigiert zu werden.

Kürzlich verordnete auch Nordrhein-Westfalens Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) den Grundschullehrern eine neue Handreichung, die die wilden Anfangsschreibversuche der Schüler wieder einfangen soll. „Die Regeln der deutschen Rechtschreibung können und müssen von der ersten Klasse an gelernt werden“, erklärte Gebauer. Mehr als jeder fünfte Viertklässler in Deutschland erfüllt bei Rechtschreibung laut einer Studie des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) die Mindeststandards nicht.

In Hamburg und Schleswig-Hol­stein ist die umstrittene Methode des Schreibens nach Gehör schon verboten. Auch in Bayern und Baden-Württemberg sowie in den meisten Ost-Bundesländern kommt „Lesen durch Schreiben“ nicht zum Einsatz. Bestätigt fühlen sich die Kritiker durch eine Bonner Studie, wonach Grundschüler Orthografie am besten nach der klassischen Fibelmethode lernen, also erst Buchstabe für Buchstabe und dann Wörter.

Ganz so einfach ist es aber nicht: Nur zwei bis drei Prozent aller Grundschulen wenden die Methode des Schreibens nach Gehör in Reinform überhaupt an, so die Schätzungen. „Das ist so ein Schlagwort, aber nicht die Unterrichtsrealität“, sagt Anne Deimel vom Verband Bildung und Erziehung (VBE). Das reine „Lesen durch Schreiben“ nach der Reichen-Methode werde kaum praktiziert.

Stattdessen setzen Schulen auf einen Methodenmix – so auch in unserer Region: „In Reinform wird ‚Schreiben nach Gehör’ an keiner saarländischen Schule umgesetzt“, teilt die Sprecherin des Saarbrücker Bildungsministeriums, Marija Herceg, mit. „Einzelne Aspekte wie beispielsweise die Anlauttabelle werden aber in vielen modernen Lehrwerken genutzt, um Schulkindern das Schreiben und Lesen zu vermitteln.“ Herceg verweist zudem auf die guten Ergebnisse der IQB-Studie von 2016, die saarländischen Schülern im Kompetenzbereich Orthografie gemeinsam mit Bayern Spitzenwerte bescheinigt. Von einem Rechtschreibnotstand könne somit zumindest im Saarland keine Rede sein.

Das Nachbarland Rheinland-Pfalz schnitt bei der IQB-Erhebung deutlich schlechter ab und landete im Mittelfeld. Gerade im Bereich Rechtschreibung habe man Handlungsbedarf gesehen und Maßnahmen ergriffen, teilt die Sprecherin des Mainzer Bildungsministeriums, Sabine Schmidt, mit. So setze man in Rheinland-Pfalz inzwischen stärker auf den Bereich Leseförderung.

Beim Erstlese- und Schreibunterricht gebe es das „Schreiben nach Gehör“ – ähnlich wie im Saarland – nicht in Reinform. Schmidt erläutert das rheinland-pfälzische Konzept: „Aktuelle Fibeln integrieren verschiedene Methoden des Schriftsprachenerwerbs wie beispielsweise das klassische Einführen der einzelnen Buchstaben, lesen lernen über Silben oder das Arbeiten mit der Anlauttabelle.“ Mit letzterer werde der bewusste Umgang mit Lauten unterstützt. „Dieses Verfahren steht dabei in keiner Konkurrenz zum Prinzip der Rechtschriftlichkeit!“, betont Schmidt.

Auch die Düsseldorfer Lehrerin Monika L. (58) setzt auf ein viel differenzierteres Lautlernsystem als die einfache Anlauttabelle Reichens, die nur die Anfangsbuchstaben von Wörtern Lauten zuordnete. Rechtschreibung sei nun mal ein komplexer Vorgang, in dem viele Sinne wie Sprechen, Sehen, Motorik und besonders das Hören eine Rolle spielten. „Natürlich regt sich die halbe Elternschaft darüber auf, dass die Kinder nicht mehr gescheit schreiben lernen“, sagt L. Die Gründe dafür seien aber ein „großes Paket“. Mangelnde Konzentration, schreibmotorische Probleme – all das gehöre dazu.

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