Ski alpin Dreßen erlebt einen Tag wie im Traum

Kitzbühel · Der deutsche Skirennläufer gewinnt sensationell die legendäre Abfahrt auf der Streif in Kitzbühel – und ist plötzlich Olympia-Favorit.

 Der neue deutsche Alpin-Star Thomas Dreßen lässt sich bei der Siegerehrung in Kitzbühel feiern.

Der neue deutsche Alpin-Star Thomas Dreßen lässt sich bei der Siegerehrung in Kitzbühel feiern.

Foto: dpa/Johann Groder

Ein paar Stunden nach seiner Schussfahrt für die Ewigkeit begriff Thomas Dreßen endgültig, was es heißt, auf der Streif in Kitzbühel gewonnen zu haben. Als Letzter wurde er zur Siegerehrung gerufen, er sprang aufs Podest, brüllte „yeah“, stieß mehrfach die Fäuste in die Höhe – und blickte dann vom Balkon des Zielhauses auf mindestens 20 000 Menschen. Sie jubelten ihm zu, als er die wuchtige goldene Gams hochstemmte, und auch noch einmal, als die deutsche Hymne verklungen war und er zu ihnen hinunterwinkte.

„Die Siegerehrung war der Wahnsinn, so viele Leute, unglaublich“, sagte Dreßen. Er fand kaum Worte, um seine Emotionen zu beschreiben. Wie auch? Der erste Weltcupsieg. In Kitzbühel. Nein, „kitschiger geht’s nimmer“, bekannte er, fast überwältigt von den Momenten, die sich ein Ski-Rennläufer erträumt. Danach ging’s rund: Feier mit Familie, Freunden und Trainern im Rasmushof im Zielgelände, ein Besuch im Vip-Gebäude nebenan inklusive Plausch mit Sebastian Vettel. Schließlich verschwand Dreßen in die Nacht, Besuch im legendären „Londoner“ inklusive.

Es war ein Tag wie im Traum. Für alle Beteiligten. Auf den Tag genau 39 Jahre zuvor hatte als letzter Deutscher Sepp Ferstl auf der Streif gewonnen – und jetzt das: ein deutscher Sieg in „Kitz“. Drei Wochen vor der Abfahrt bei Olympia! Seine Rolle als Geheimfavorit ist der erst 24-jährige Dreßen damit los. „Das lässt sich jetzt nicht wegdiskutieren: Wenn du Kitzbühel gewinnst unmittelbar vor Olympia, dass du dann einer der Favoriten bist, ja klar“, sagte Cheftrainer Mathias Berthold, der die deutschen Abfahrer in dreieinhalb Wintern aus dem Nichts auf dieses Niveau gehoben hat.

Was da am Samstagnachmittag bejubelt wurde, war nichts Geringeres als eine Sensation, und Dreßen fand kaum Worte dafür: „Es war immer ein Traum von mir, mal eine Weltcup-Abfahrt zu gewinnen, auch Kitzbühel. Dass ich das jetzt auf einen Streich geschafft hab, ist einfach nur unfassbar.“ Gleich nach Dreßen war auch Andreas Sander drauf und dran, aufs Podest zu fahren. Er patzte auf den letzten Metern, wurde aber noch hervorragender Sechster.

Als kurz zuvor Dreßen nach Zwischenbestzeiten und schließlich 1:56,16 Minuten über die Ziellinie gerast kam, da war auch der verletzte Felix Neureuther, der an Krücken durch den Zielraum lief, fassungslos. „So eine Gänsehaut hatte ich noch nie bei einem Ski-Rennen“, behauptete er. Einer der ersten Gratulanten war Sepp Ferstl, Sieger von 1978 und 1979, dessen Sohn Josef, genannt „Pepi“, Rang 20 belegte. „Gott sei Dank, dass ich jetzt mal abgelöst bin, weil das hältst du auf Dauer nicht aus“, sagte Ferstl senior.

Dreßen hatte auch ein bisschen Glück. Als er sich um 12.26 Uhr aus dem Starthaus auf die 3312 Meter lange Streif katapultierte, war gerade die Sonne herausgekommen, und bessere Sicht bedeutet: bessere Zeiten. „Er hat das schamlos ausgenutzt“, sagte der Österreicher Hannes Reichelt, Dritter hinter Dreßen und Weltmeister Beat Feuz aus der Schweiz – und nicht ganz unbeteiligt an der Siegfahrt: Denn Reichelt, Sieger von 2014, hatte am Vortag die Wahl zwischen den Startnummern 1 und 19 gehabt. Er wählte die 1, für Dreßen blieb die 19 – ein Glücksfall.

„Wer weiß, vielleicht hat von oben wer zugeschaut und die Sonne ein bisschen mehr scheinen lassen bei mir“, sagte Dreßen. Eine Anspielung auf seinen Vater Dirk, der im September 2005 bei einem Seilbahn­unglück in Sölden ums Leben gekommen war. Ihm zu Ehren prangt die „44“ auf Dreßens Helm, sie steht für „DD“, also zwei Mal den vierten Buchstaben des Alphabets.

Der Gedanke an den Vater sei ihm auch diesmal gekommen, als er im Ziel kurz aufs Knie ging, aber, ergänzte Dreßen: „Der Dank geht nicht nur nach oben, sondern auch zu meiner Mama. Wenn die mich nicht so unterstützt hätte und hinter mir gestanden wäre, wäre ich jetzt nicht da.“

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